Pfannkuchen, Emanzipation und Vergesellschaftung

Zu Befreiung der Körper (arranca! 33)

Während irgendwie nie so richtig klar war, was das Wertgesetz eigentlich sein soll, haben es einige Postoperaisten bereits für überwunden erklärt. In der letzten arranca! wurden im Anschluss an diese Behauptung einige Thesen präsentiert. Dem scheinbaren Ende des Wertgesetzes soll hier auf den Grund gegangen werden.

Das Gesetz des Wertes
Will man den Kapitalismus verstehen, kommt man um Marx’ Kritik nicht herum. Dabei werden zwei Punkte häufig in einer Weise rezipiert, die zu falschen Schlussfolgerungen führt. Zum einen wird die Relevanz des Geldes unterschätzt. Zum anderen wird die Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher Formbestimmung und der „stofflichen“ Seite von Arbeit ignoriert. Nun ist das so genannte Wertgesetz (wie vieles bei Marx) auch unter Marxisten umstritten. Dabei konkurrieren vor allem zwei Vorstellungen miteinander: Zum einen die, die in der Arbeit die Substanz des Werts und dessen Maß erkennt, also im Wertgesetz eine Regulierung hinsichtlich der Wertgröße sieht. Die andere Konzeption versteht unter dem Wertgesetz zwar auch eine Regulierung, jedoch eine völlig andere: Dieser Konzeption zufolge wendet sich Marx gegen die Vorstellung, dass überhaupt bewiesen werden müsse, dass dem Wert Arbeit zugrunde liegt. Marx gehe es vielmehr um die Frage, in welcher Form Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen verteilt wird.
Unter kapitalistischen Bedingungen findet der gesellschaftliche Stoffwechsel, d.h. die materielle Reproduktion der Gesellschaft, in Form arbeitsteiliger Privatproduktion unter Voraussetzung von Privateigentum statt. Dabei stellt sich der gesellschaftliche Charakter der Arbeit erst im Nachhinein heraus. Ob eine privat verausgabte Arbeit als Teil gesellschaftlich notwendiger Arbeit anerkannt wird, entscheidet sich am anonymen Markt – durch den Verkauf gegen Geld. Der Tauschwert der Produkte reguliert somit die Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit. Aber auch unter kapitalistischen Bedingungen hat nicht jede Ware notwendigerweise Wert: Die Produktion muss ein Bedürfnis befriedigen. Nimmt der „Marktmagen“ (Marx) die Ware nicht auf, wurde die Arbeit nicht als gesellschaftliche anerkannt. Die Ware ist „wertlos“, auch wenn der Wert in der Produktion antizipiert wurde. Deshalb kommt dem Geld eine konstitutive Rolle zu.
Die Zentralität der gesellschaftlichen Form verschwindet bei der orthodox-marxistischen Vorstellung, aufgewendete Arbeitszeit materialisiere sich unter kapitalistischen Bedingungen im Wert, stecke also in den Waren wie Marmelade in Pfannkuchen. Diese Konzeption geht am Stellenwert des Geldes vorbei. Sie schreibt dem Geld nur die Aufgabe zu, den Tausch zu erleichtern (als Schmiermittel). Eine Vorstellung, die Marx mit Ricardo und Marxisten mit Neoklassikern teilen würden – und die bei vielen bekannten Marxisten wie Ernest Mandel, aber auch bei Toni Negri vorausgesetzt wird. Denkt man den Zusammenhang von Privatarbeit, Wert und Geld dagegen als ein gesellschaftliches Geltungsverhältnis, dann wird der Vorstellung eines „Pfannkuchen-Werts“ die Grundlage entzogen.
Ein weiterer Punkt wird in der postoperaistischen Debatte übersehen: Für die gesellschaftliche Formbestimmung ist der „Inhalt“ der Arbeit irrelevant. Dieselbe Arbeit kann wertbildend sein oder nicht. Beim Backen einer Pizza für Freunde findet weder Ausbeutung statt, noch wird Wert produziert. Backt eine private Haushaltskraft für einen „Hausherren“ eine Pizza, die nicht in die Zirkulation eintritt, so findet zwar Ausbeutung statt, aber es wird weder Wert noch Mehrwert produziert. Eröffnet der „Hausherr“ ein kapitalistisch geführtes Restaurant und lässt dort von LohnarbeiterInnen Pizza für den Markt produzieren, so entsteht nicht nur Wert, sondern der Eigentümer eignet sich auch Mehrwert an. Gilt Pizza als öffentliches Gut und stellt der Staat die dafür notwendige Infrastruktur, Produktionsanlagen und das Heer an Pizzabäckern, so wird weder Wert noch Mehrwert produziert, denn Pizza fungiert hier als unmittelbar gesellschaftliches Gut.
Der konkrete Inhalt der Tätigkeit ist also für die jeweilige gesellschaftliche Form der Arbeit irrelevant. Damit aber tangiert die Unterscheidung zwischen materieller und „immaterieller“ Produktion auch nicht die gesellschaftliche Formbestimmung. „Immaterielle“ Güter wie Dienstleitungen, Transport, Kultur, Haarschnitt, Bildung usw. können sowohl warenförmig und zum Zweck der Mehrwertproduktion angefertigt werden als auch als öffentlich bereitgestelltes Gut. Der Unterschied zu anderen Waren ist meist, dass die Konsumtion der Waren mit der Produktion zusammenfällt. Dass mit der Produktivkraftentwicklung neue Formen der Arbeit (Softwareentwicklung, Kundenbetreuung, Wissenschaft usw.) einen wichtigeren Stellenwert in den Wertschöpfungsketten erhalten, ändert aber nichts an der gesellschaftlichen Formbestimmung dieser Produktion.

Ende des Wertgesetzes?
Das Postulat vom Ende des Wertgesetzes würde vor dem Hintergrund dieser Ausführungen besagen, dass die Form der Produktionsregulierung nicht mehr über das Geld verläuft. Das ist offensichtlich nicht das, was Negri meint. Negri geht von einem traditionell-marxistischen Begriff des Wertgesetzes aus, demzufolge die Arbeitszeit den Wert als Substanz bestimmt: Marx’ „Werttheorie ist in Wirklichkeit eine Theorie des Wertmaßes“ (Empire, S. 363). Das im vorigen Abschnitt skizzierte Problem der Produktionsregulierung verschwindet damit. Vor dem Hintergrund einer solchen Konzeption des Werts erscheint ein Ende des Wertgesetzes durchaus plausibel. Ist immer weniger Arbeit nötig, schwindet auch die Wertsubstanz der Waren.
Es bleibt aber die Frage, wie sich der gesellschaftliche Charakter warenproduzierender Arbeit jenseits des Wertgesetzes einstellt. Negris Argument, die gegenwärtige Produktion finde in einem hohen Maß vergesellschaftet statt, trifft nicht den Kern des Problems. Produktion ist immer ein gesellschaftlicher und kooperativer Prozess. Es kommt auf die Form der Vergesellschaftung an. Diese ist innerhalb eines Betriebs eine andere als auf dem Markt (zwischen den Fabriken). Innerhalb der „Fabrik“ ist die Produktion unmittelbar „gesellschaftlich“, weil es einen geplanten Arbeitsprozess gibt. Auf dem Markt aber wird die Produktion über den Wert geregelt.
Eine aktuelle Gestalt der Kooperation ist beispielsweise die Simulation von Markt oder Konkurrenz innerhalb der Fabrik. (1) Die Form der Vergesellschaftung innerhalb der arbeitsteiligen Privatproduktion ist dagegen eine völlig andere. Sie ist nicht unmittelbar vorhanden, sondern ergibt sich erst im Nachhinein. Es stellt sich also die Frage, auf welche Form der Vergesellschaftung Negri anspielt. Und dabei geht bei ihm einiges durcheinander. Nur weil ich z.B. meinen Freundeskreis ständig dazu ausnutze, für meine Computerklitsche neue Kunden und Ideen zu gewinnen, ist das noch längst keine neue (oder gar solidarische) Form der Kooperation. Es ist vielmehr ein Indiz dafür, dass Bereiche des Privatlebens auf den Zwang ausgerichtet werden, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen. Nur weil große, zentralisierte Fabriken nicht mehr das Bild der Produktion beherrschen, hat sich noch lange nicht die Form der arbeitsteiligen Privatproduktion erledigt. Vielmehr verhält es sich umgekehrt: Vertiefte Arbeitsteilung, stärkere Marktabhängigkeit, Warenförmigkeit und Konkurrenz beherrschen das Bild. Dass diese neue Organisation der Arbeit mit neuen Ansprüchen an die Arbeitskraft einhergeht, ist selbstverständlich. Hierbei spielen die von Hardt und Negri geschilderten Phänomene durchaus eine Rolle, denn schließlich ist die Arbeitskraft dazu gezwungen, ein ganz neues Verhältnis zu Freizeit, persönlichen Kontakten usw. herzustellen.

Politische Implikationen
Hardt und Negri formulieren die These von der permanenten Produktivität, die sich aus der erhöhten gesellschaftlichen Kooperation ergebe. Auf diese Weise – durch den Hinweis auf die Entgrenzung der Arbeit und auf die Produktivität der „Multitude“ – begründen sie ihre Forderung nach Existenzgeld (siehe Empire, S. 409). Dieser Begründungszusammenhang ist jedoch höchst problematisch. Hier sitzt der ehemalige Operaist Negri dem Produktivitätsfetisch der klassischen Arbeiterbewegung auf, den er eigentlich immer bekämpft hat. Denn was geschieht mit den „Unproduktiven“? Sie haben, wenn man dieses Argument ernst nimmt, keinen Anspruch auf Existenzgeld. Aber auch eine andere Frage bleibt offen: Ist es nicht so, dass die Form der Vergesellschaftung bloß auf eine elitäre Minderheit in den westlichen Industrieländern zutrifft?
Wie verhält es sich schließlich mit der Vergesellschaftung nach dem Ende des Wertgesetzes? Wenn der Wert, der den Zusammenhang zwischen der arbeitsteiligen Produktion nachträglich herstellt, keine Bedeutung mehr hat, was tritt dann an seine Stelle? Das bleibt bei Negri offen. Das für die kapitalistische Produktionsweise Spezifische, die nachträgliche Vergesellschaftung auf dem Markt, verschwindet jedenfalls aus dem Blickfeld. So heißt es in Multitude, dass die Produkte der immateriellen Arbeit „in vielerlei Hinsicht selbst unmittelbar gesellschaftlich und gemeinsam“ seien (S. 133). Auf diese Weise kann Negri zu der obskuren Feststellung kommen, dass wir eigentlich schon im Kommunismus leben würden. (2) Auch hier argumentiert Negri auf einer Grundlage, die er als Operaist ebenso bekämpfte wie den Produktivkraftfetisch, nämlich die Vorstellung, dass die politische Revolution nur eine den Kommunismus strukturell vorwegnehmende technologische Entwicklung einholen müsse. Die Bourgeoisie habe mit der bürgerlichen Revolution nur politisch nachgeholt, was ökonomisch längst entwickelt war. Heute sei die vergesellschaftete Produktion in Form von Kooperationen und Selbstständigkeit die materielle Grundlage, die nur noch von parasitären Formen befreit werden müsse. (3) Eine geradezu romantische Vorstellung, die keine Antwort auf die zentrale Frage bietet, wie eine postkapitalistische Gesellschaft organisiert werden kann – bzw. eine politische und soziale Macht, die zu einer solchen Gesellschaft gelangen will.
Der theoretische Kurzschluss hat strategische Konsequenzen. Das zeigt sich in Multitide bei der Frage nach dem Gemeinsamen der kämpfenden Subjekte. Weil ein „Gemeinsames“ immer schon unterstellt ist, bewegen sich Hardt und Negri in einem vorpolitischen Raum. Konflikte und Widersprüche, die es politisch zu bearbeiten gilt, existieren nicht mehr: „[E]s gibt keinen Widerspruch zwischen dieser Singularität und der Gemeinsamkeit“ (Multitude, S. 133). Doch wo kommt das Gemeinsame her? Negri und Hardt schreiben, die „Produktion des Gemeinsamen“ – und nicht des Profits! – stehe heute „tendenziell im Zentrum jeder Form von gesellschaftlicher Produktion“ und sei in Sonderheit „das Hauptmerkmal“ der immateriellen Arbeit (Multitude, S. 11). Auf eine politische Herausarbeitung des Gemeinsamen wird in dieser Konzeption verzichtet. Es schlägt sich vielmehr jener Ökonomismus Bahnen, der bei Negri sonst immer Gegenstand heftiger Kritik war. Denn das Gemeinsame ist in diesem theoretischen Ansatz das Resultat nicht von politischen Kämpfen, sondern von einer neuen Form der Produktion.
Dieser Ökonomismus schlägt sich zusammen mit der These von der entgrenzten Produktivität in einem Naturalismus nieder, bei dem als Merkmal des Gemeinsamen nur mehr Körper übrig bleiben – „mit zwei Augen, zehn Fingern und zehn Zehen“ (Multitude, S. 149). Wenn aber darauf verzichtet wird, das Gemeinsame als Resultat politischer Auseinandersetzungen und Solidarisierungsprozesse zu denken, verliert das politische Projekt an emanzipatorischer Kraft.

Ingo Stützle

Anmerkungen
(1) Siehe Dieckmann 2005.
(2) Siehe Die Beute 4/1996.
(3) Siehe ak 464.

Literatur
Dieckmann, Martin. Die Widerruflichkeit der Normalität. Über Prekarität und Prekarisierungen. In: grundrisse 15 (2005), S. 8-14.
Hardt, Michael; und Antonio Negri. Empire. Die Neue Weltordnung. Frankfurt 2003.
Hardt, Michael; und Antonio Negri. Multitude. Krieg und Demokratie im Empire. Frankfurt 2004.

Aus: arranca!, Nr. 34, Frühling 2006, 52-54.