FAQ: Vorsicht, bissiger Fiskalpakt!

Ende Januar tagte wieder einmal ein Euro-Sondergipfel. Die Staats- und Regierungschefs kamen zusammen, um den im Dezember 2011 in Brüssel auf den Weg gebrachten sogenannten Fiskalpakt zu verabschieden. Im März 2012 soll das »International Agreement on a Fiscal Stability Union« unterzeichnet werden.

Der Fiskalpakt sieht die Einführung einer sogenannten Schuldenbremse nach deutschem Vorbild in allen Euro-Staaten vor. Wenn möglich soll diese in allen Ländern, wie bereits in Deutschland, Verfassungsrang erhalten. Zukünftig soll die strukturelle Neuverschuldung auf ein halbes Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) begrenzt werden. Stellt die Europäische Kommission einen Verstoß fest, wird quasi automatisch ein Sanktionsverfahren eröffnet, das Geldstrafen in Höhe von 0,1 Prozent des BIP nach sich ziehen kann. Damit wurde die Sanktionierung verschärft. Zwar sollen die Defizitverfahren künftig schneller umgesetzt werden, da die Unterzeichnerstaaten kein Veto mehr einlegen dürfen. Die Sanktionen müssen nicht durch eine Mehrheitsentscheidung angenommen werden, aber sie können innerhalb einer bestimmten Frist durch eine qualifizierte Mehrheit zurückgewiesen werden.

Der Fiskalpakt ist ganz in der Tradition der bisherigen Politik eine Verbeugung vor den Finanzmärkten. So äußerte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, dass das Ergebnis des EU-Gipfels den »Finanzmärkten ein klares Signal geben wird. Wir werden die bisherige Schuldenpolitik nicht fortführen.« (cducsu.de, 31.1.2012) Der Fiskalpakt soll die gemeinsame Verantwortung der Euro-Staaten dafür besiegeln, dass alle Mitgliedsstaaten für das Finanzkapital kreditwürdig und damit rentables Anlageobjekt bleiben.

Der Fiskalpakt ist eine Antwort darauf, dass die Euro-Staaten eine gemeinsame Währung haben, die Hoheit über die Fiskalpolitik jedoch bei den Nationalstaaten liegt. Bis vor der Krise 2008 partizipierten alle Euro-Länder an der Kreditwürdigkeit Deutschlands und der stabilitätsorientierten Geldpolitik der EZB. Die Zinsen auf die zehnjährigen Staatsanleihen hatten bis Mitte 2007 nahezu das gleiche Niveau.

Die Finanzpolitiken der Euro-Mitgliedsländer sind entgegen der Geldpolitik nationalstaatlich organisiert. Das gilt für die Steuerpolitik ebenso zu wie für die Verschuldung an den Finanzmärkten. Trotz des von Deutschland durchgesetzten Stabilitäts- und Wachstumspakts hat Deutschland de facto keine Kontrolle über das Finanzgebaren der anderen Euro-Staaten, was sich aus seiner Sicht ändern sollte. Deshalb wird der beschlossene Fiskalpakt auch gerne als Schritt Richtung Fiskalunion bezeichnet – diese soll die Kontrolle über die nationalen Budgets neu organisieren. Bereits im Herbst 2011 forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel »Durchgriffsrechte«, die es ermöglichen sollen, die Haushalte von Euro-Staaten »für null und nichtig« zu erklären. (welt.de, 27.9.2011)

Deutschland konnte sich in dieser Form jedoch (noch) nicht durchsetzen. Auch weil damit ein Kern staatlicher Souveränität betroffen wäre, den kein Land gern oder freiwillig aufgibt – weder an andere Staaten, noch an eine supranationale Instanz, wie es die EU in Ansätzen ist. Auch Deutschland nicht. Der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europaparlament, Markus Ferber, formulierte es so: »Man sollte nichts verlangen, was man selber nicht zu akzeptieren bereit wäre«. (stern.de, 30.1.2012) Deshalb äußert auch der Chef der Bundesbank, Jens Weidmann, Zweifel an der bisherigen Ausgestaltung des Fiskalpakts: »Offenkundig sind die Mitgliedsstaaten mehrheitlich nicht dazu bereit, auf ihre nationale Souveränität in der Finanzpolitik zu verzichten.« Zwar könnten mit dem Fiskalpakt Staatsfinanzen besser konsolidiert werden, so Weidmann, allerdings habe er Zweifel, ob ein »grundlegendes Umdenken stattgefunden« habe. Das zeige die Aufweichung ursprünglich anvisierter Verschärfungen. »Die Vorgaben für die nationalen Fiskalregeln lassen noch erhebliche Spielräume, und auf europäischer Ebene wird nicht kontrolliert, inwieweit sie dann auch tatsächlich eingehalten werden.« (Spiegel online, 1.2.2012)

Die vom Bundesbank-Chef kritisierten »Spielräume« sind das, was man auch politische Entscheidungen nennt – etwas, was sich eine auf Geldwertstabilität und die Gunst der Finanzmärkte ausgerichtete Geldpolitik nicht leisten will. Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung die Politik der autoritären Stabilisierung innerhalb der EU weiter forcieren. Getrieben von der Bundesbank und gerade weil sie selbst keine Souveränitätsrechte abgeben, aber dennoch »Durchgriffsrechte« bei anderen Staaten im Namen der Stabilität des Euro erhalten will. Der nächste Pakt zur Stabilisierung kommt bestimmt.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 569 vom 17.2.2012