Handreichungen zum Klassenkampf: Die EU im Würgegriff der Spekulation?

Weltmacht oder Pleitekandidat Euro
Weltmacht oder Pleitekandidat Euro?

Die globale Wirtschaftskrise hat die Staatsfinanzen vieler Länder erfasst. Jüngstes Beispiel: Griechenland. Doch statt über die wahren Ursachen zu sprechen, wird populistisch ein anderer Pappkamerad präsentiert, auf den sich trefflich einschlagen lässt: die Spekulation. Oder wie es Bild ausdrückt: »Verschwörung gegen den Euro«.

Vor diesem Hintergrund wollen Frankreich und Deutschland riskante Finanzgeschäfte, die den Euro gefährden, beschränken oder verbieten. Der Chef der Eurogruppe Jean-Claude Juncker droht mit »Folterwerkzeugen«, sollten die Spekulationen gegen Griechenland weitergehen. Nebulös bleibt jedoch, was sich hinter der Spekulation tatsächlich verbirgt.Nehmen Staaten nicht genug Steuern ein, müssen sie Kredit aufnehmen, um ihre laufenden Ausgaben zu finanzieren. Dies passiert in der Regel in Form von Anleihen, die auf den Finanzmärkten platziert werden. Sie hat einen Nennwert in Höhe des Kredits und einen festen Zinssatz, der sich auf den Nennwert bezieht. Und sie verbrieft das Anrecht auf die Zinseinkünfte. Als Wertpapier kann das Anrecht verkauft werden – und damit beginnt die Spekulation. Gehen AnlegerInnen von einem sinkenden Marktzins aus, können sie eine Staatsanleihe mit der Absicht kaufen, sie nach einem Anstieg der Zinsen teurer zu verkaufen, um so einen Differenzgewinn einzuheimsen.

Denn finanzschwache Staaten müssen ein mögliches Ausfallrisiko durch höhere Zinsen ausgleichen. Staaten gelten zwar als sichere Schuldner, aber das Finanzkapital traut nicht allen Staaten gleichermaßen. Die Bereitschaft, in Anleihen zu investieren, wird durch die Zahlung höherer Zinsen reguliert: Höhere Rendite sticht größeres Risiko.

Die Staaten des EU-Währungsverbunds geben ihre Anleihen alle in Euro aus, müssen aber unterschiedliche Zinsen zahlen. Zwischen den Euro-Staaten entsteht der sogenannte Spread (Zinsabstand). So platzierte Griechenland Anfang März zwar eine Anleihe über insgesamt fünf Milliarden Euro, die dreifach überzeichnet war – allerdings kassiert das Finanzkapital 6,5% Zinsen – Deutschland muss nur die Hälfte zahlen.

Leerverkäufe sind eine weitere Möglichkeit, sich mit Staatsanleihen eine goldene Nase zu verdienen. Und das geht so: Ein Anleger leiht sich für einen vorher vereinbarten Zeitraum gegen eine Gebühr eine Anleihe, die er in der Erwartung verkauft, sie nach fallendem Kurs wieder billiger zurückzukaufen. Die Differenz aus Leihgebühr und Gewinn kann sich der Anleger in die Tasche stecken.

Eine weitere Form der Spekulation hat die in den letzten Jahrzehnten recht innovative Finanzindustrie mit sogenannten Derivaten hervorgebracht. Credit Default Swap (CDS) sichern gegen einen möglichen Verlust des in Staatsanleihen angelegten Vermögens ab. KäuferInnen von CDS müssen als Gegenleistung eine Gebühr zahlen. Die Höhe der Gebühr richtet sich danach, für wie wahrscheinlich ein Kreditausfall gehalten wird. Während die Versicherung Gebühren erhält und darauf hofft, dass eine Anleihe nicht platzt, können sich BesitzerInnen von risikobehafteten Anleihen absichern. Wird eine Anleihe nicht mehr bedient, ist es dank der CDS-Absicherung möglich, diese zu ihrem Nennwert zu verkaufen – an die Institution, die das CDS ausgab.

Diese Absicherungsgeschäfte sind handelbar und das verrückte dabei: Mit dem Derivat bekommt man bei einem Zahlungsausfall unabhängig davon Geld ausbezahlt, ob man tatsächlich eine Anleihe besitzt oder nicht. Deshalb sind die CDS als Handelsobjekt besonders attraktiv. Ihr Preis steigt und fällt mit der Spekulation, ob eine Anleihe noch sicher ist oder nicht.

Marktförmigen Absicherungsgeschäften haben eine gern vergessene Eigenschaft: Es bedarf immer zwei komplementärer Seiten. Die eine Seite, die sich absichert, und die andere Seite, die bereit ist, abzusichern. Die »beiden Seiten« spekulieren sozusagen auf einen jeweils unterschiedlichen Ausgang der Geschäftsbeziehung. Die Spekulation ist somit bei solchen Geschäften immer schon angelegt und kein Ärgernis, das irgendwie im Nachhinein auftritt.

2004 stellte die Deutsche Bundesbank fest: »Das Vordringen von CDS kann grundsätzlich einen Beitrag zu größerer Finanzmarktstabiliät leisten.« Nach einer Umfrage der Ratingagentur Fitch ist das Motiv für CDS zu 91% Absicherung bzw. Risikomanagement.

Zurück zu Griechenland: Laut einer Studie der Deutschen Bank ist der Anteil der CDS am Wert der sich im Umlauf befindlichen Staatsanleihen von Griechenland kaum nennenswert. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin fand in einer aktuellen Untersuchung keine Anhaltspunkte dafür, »dass in jüngster Zeit verstärkt Kreditderivate zur Spekulation gegen griechische Staatsanleihen genutzt worden sind«.

Der rege Handel mit CDS-Papieren deutet darauf hin, dass das Finanzkapital vor allem auf die kurzfristigen Differenzprofite setzt. Nicht die Spekulation auf einen Kreditausfall steht im Zentrum, sondern der ständig schwankende Kurs der Papiere. Diese Schwankungen haben auch politisch Ursachen. Vor allem dadurch, dass ständig betont wird, dass Griechenland seine »Probleme« selbst lösen müsse, gleichzeitig aber klar ist, dass das Land nicht »fallen gelassen« wird.

Würden die EU-Staaten eine gemeinsame Anleihe ausgeben, was Deutschland bisher verhindert, wären derartige Geschäfte, deren Grundlage vor allem die Spreads sind, kaum möglich. Der momentan diskutierte Lösungsvorschlag der Einrichtung eines Europäischen Währungsfonds ist auch keine Lösung dieses Problems. Vielmehr wäre er nur ein anderes Mittel für eine weitere Disziplinierung Griechenlands unter neoliberalen Vorzeichen: Kredit gegen soziale Einschnitte und Öffnung des Landes für den europäischen Markt.

Ingo Stützle

Erschienen in: ak – zeitung für linke debatte und praxis,  Nr. 548 vom 19.3.2010