Abwegig. Eigentlich – Dath zwischen den Jahren

Dietmar Dath ließ einem nicht einmal Weihnachten, um seinen – eigentlich schon nicht mehr – neusten Roman zu lesen, sondern gab in der FAZ eine Geschichte zum Besten. Eine Weihnachtsgeschichte. Diese aber passte zu seinem Roman »Sämmtliche Gedichte« – eigentlich. Die Welt interpretierte die in »Sämmtliche Gedichte« gewälte Form als »Abkehr vom Publikum«. Wie bei der Neuen Musik. In Daths Weihnachtsgeschichte »Mein Molière heißt Nussbusserl« wird der Protagonist Lukas Tauris samt einer Theaterschreiberin, deren Stück in der von beiden besuchten Irrenanstalt eingeübt wird, nach Hause geschickt, von einem Arzt, mit moralischer Begründung versteht sich:

»Ist Ihnen klar, dass diese Menschen hier sind, um gesund zu werden? Dass sie vieles gebrauchen können: Aufmunterung, Beschäftigung, Zuspruch, aber keine Gaffer? Dass wir kein Zoo sind? Ich muss Sie bitten, und es ist schlimm genug, dass ich Sie bitten muss, aber so ist es wohl – also, ich bitte Sie in aller Form, gehen Sie woanders Kaffee trinken. Lassen Sie sich im Theater inspirieren, suchen Sie woanders, was immer Sie hier suchen.«

Suchen ist allerdings eher an Ostern. Wer Daths Roman »Sämmtliche Gedichte« liest, sollte in keinem Fall etwas suchen, sondern einfach lesen. Wer sucht, findet nur das Gesuchte und sieht selten Anderes, Neues. Der Roman ist – man mag es kaum glauben – eine Art dathsches Innehalten. »Was mache ich eigentlich wenn ich schreibe?« – das dürfte eine Frage gewesen sein, die sich Dath gestellt hat. Aber dieses Mal geht es eben um die Form, um die Form der literarischen Kunst. Fast jede Besprechung des Buches musste in einem Halbsatz unterbringen, dass Dath sich als, ja was eigentlich, Sozialist, Marxist oder so was ähnliches versteht. Für viele umreißt dies der politische Inhalt seiner literarischen Kunst. Jedoch kaum ein Beitrag zu »Sämmtliche Gedicht« stellte die immer wieder konstatierte Plattitüde in den Zusammenhang mit Daths gewählter Form und Thema des neuen Romans (u.a. taz, junge welt, dradio, FAZ).

Der Lyriker Sladek soll von einem Reichen Gutmenschen in dessen Weltverbesserungswahn eingebunden werden. Sladek allerdings, so viel sei verraten, will sich in Daths Roman nicht instrumentalisiert lassen – auch nicht im Namen des ›Guten‹,  ›Fortschritts‹ oder ›Gerechten‹. Die Kunst, sonst wäre sie keine, kann hier nicht mitmachen. Die Form, in der die Sprache zum Ausdruck kommt, kann nicht Mittel zum Zweck sein, wie Dath, eine weitere, selbstironisch eingeführte Figur des Romans, dem Lyriker Sladek weiß machen will.

Nur die Besprechung bei Radio Z nahm den Ball der Form auf und bat Dath darum, das nächste mal bitte wieder an die LeserInnen zu denken und wieder etwas zugänglicher werden. Und eben das genau nicht, lieber Dietmar Dath. Sich zum Publikum hinwenden, um scheinbar ›verstanden‹ zu werden, ist immer auch ein sich den Verhältnissen beugen. Und gesellschaftliche sind eben immer auch ästhetische Verhältnisse.

Und da die Neue Musik schon abgesprochen wurde, fällt mir auch noch Adorno ein:

»Im Akt der Erkenntnis, den Kunst vollzieht, vertritt ihre Form Kritik am Widerspruch dadurch, daß sie auf die Möglichkeit seiner Versöhnung weist und damit auf das Kontingente, Überwindbare, Nicht-absolute am Widerspruch. Freilich wird damit die Form zugleich auch zu dem Moment, in dem der Akt der Erkenntnis innehält.« (Schönberg und der Fortschritt, GS 12, 119)

Dath und seine LeserInnen innehalten? Abwegig. Eigentlich.