Wer soll das bezahlen? Besteuerung als Umverteilungsmaschinerie

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Mitten im Wahlkampf versprechen Angela Merkel (CDU) und Guido Westerwelle (FDP) für den Fall einer schwarz-gelben Koalition, dass Firmen und Wohlhabende um 15 Mrd. Euro entlasten werden sollen. Ihre Argumentation folgt dabei der Logik der letzten Jahrzehnte: Leistung muss sich wieder lohnen. Wenn Unternehmen und Vermögende weniger Steuern zahlen müssen, so die Begründung für eine derartige Politik, dann sind sie auch bereit, zu investieren. Damit würden die Auftragszahlen wieder anziehen, mehr produziert werden, Arbeitsplätze entstehen und: Steuereinnahmen fließen. Eine Steuersenkung würde sich sozusagen selbst finanzieren.

Auch wenn diese fixe Idee weder theoretisch haltbar ist noch der Wirklichkeit entspricht, so hält sie sich hartnäckig und wird immer dann in Anschlag gebracht, wenn es Steuererleichterungen zu begründen gilt. Diese prägen die Finanzpolitik der letzten Jahrzehnte und bewirken zweierlei: Eine Umverteilung der Steuerlast von oben nach unten und steigende Staatsverschuldung. Letztere muss wiederum dafür herhalten, scheinbar notwendige Kürzungen öffentlicher Ausgaben durchzusetzen.

Aber wie sah die Umverteilung in den letzten Jahren aus? Nachdem 1997 das Bundesverfassungsgericht mokierte, dass bei der Vermögenssteuer Immobilieneigentum gegenüber Geldvermögen bevorzugt werde, also eine ungerechte Besteuerung vorliege, wurde nicht etwa die Vermögensarten gleich besteuert, sondern die Steuer ganz abgeschafft. Ein Grund, warum in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern die Vermögenssteuer einen verschwindend geringen Teil des Steueraufkommens ausmacht.

Unter Rot-Grün wurde die Steuersenkungsorgie fortgesetzt: 2001 wurde die Körperschaftssteuer von 40% auf 25% gesenkt, unter Merkel schließlich auf 15%. Allein die unter Schröder beschlossene Steuerreform hatte nach Inkrafttreten aller Stufen eine jährliche Entlastung von 40 Mrd. Euro zur Folge. Das entsprach etwa 2% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dazu kamen jährlich 10 Mrd. Euro durch die Unternehmenssteuerreform. Während 2000 das Staatsdefizit bei 1,1% lag, brachen 2001 mit der einsetzenden Rezession die Steuereinnahmen ein, die Verschuldung stieg. Die Mindereinnahmen zwischen 2001 und 2005 betrugen aufgrund der Reform jährlich 1-2% und sorgten drei Mal dafür, dass die Kriterien von Maastricht verletzt wurden.

Auch deswegen wurde 2007 die Mehrwertsteuer erhöht. Diese wird aber von der breiten Masse der Bevölkerung getragen und belastet vor allem diejenigen, die ihr verfügbares Einkommen nahezu vollständig für den Lebenserhalt ausgeben müssen. Diese Steuererhöhung spült jährlich etwa 19 Mrd. Euro in die Staatskassen. Dieses Geld war wesentlich für die Konsolidierung des Staatshaushalts verantwortlich. Nur zwei Jahre später wurde zum 1. Januar 2009 die Abgeltungssteuer eingeführt. Entgegen dem Gejammer stellt diese jedoch keine vergrößerte Steuerlast dar. Ganz im Gegenteil: Seitdem werden pauschal 25% auf alle Vermögenseinkommen erhoben (Zinsen, Dividenden und Erlöse aus Wertpapierverkäufen). Davor galt der jeweils individuelle Steuersatz, d.h. je nach Steuerklasse und Einkommen. Ergebnis: Vermögende und Einkommensstarke profitieren.

Diese Umverteilung der Steuerlast kennzeichnet fast alle Reformen der letzten Jahre. Die Steuerreform von 2000 entlastete Einkommen von 20.000 Euro um 3,6% ihres Einkommens, für 70.000 Euro errechnen sich 5,3% und ein Einkommen von 200.000 Euro wird um 7,7% entlastet. Hohe Einkommen wurden also doppelt so stark entlastet wie niedrige.

Diese unterschiedliche Entlastung drückt sich auch im Anteil an Lohnsteuern am gesamten Steueraufkommen aus. Während der Anteil 1960 noch knapp über 10% war, stieg sie bis 1980 auf über 30% um dann bis 2007 auf 26% zu sinken – seitdem steigt der Anteil wieder. Zusammen mit den Verbrauchssteuern machen diese inzwischen etwa Dreiviertel des Gesamtsteueraufkommens aus.

Spiegelbildlich entwickelten sich die Einkommens-, Körperschafts- und Gewerbesteuern. In den 1980er Jahren betrug der Höchststeuersatz auf Einkommen noch 56%. 1998 wurde unter Rot-Grün der Satz auf 53% gesenkt und liegt inzwischen bei 42%. Diese Entlastung von Kapital und hohen Einkommen drückt sich im Anteil am gesamten Steueraufkommen aus: 1970 machten die veranlagten Einkommensteuern noch über 10% aus – der Wert sank bis 2007 um mehr als die Hälfte. Ähnliches ist bei der Körperschaftssteuer zu beobachten. 1970 machte diese noch 5,7% aus, sank auf 3,8% (2005) um im Zuge des Aufschwungs 2006 wieder auf 5% zu steigen. Angesichts der Wirtschaftskrise brechen die Steuereinnahmen jedoch wieder massiv ein.

Wegen der fehlenden Steuereinnahmen und der von der Großen Koalition beschlossenen sogenannten Schuldenbremse wird ein Szenario deutlich: Wenn ein Aufschwung nicht für steigende Steuereinnahmen sorgt, was kaum zu erwarten ist, wird mit dem selbst auflegten Verschuldungsverbot vor allem bei den Ausgaben der Rotstift angesetzt werden – neben einer Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die IdeologInnen aus der Wissenschaft haben schon zahlen um die 25% in die Diskussion geworfen.

Auch eine andere Strategie ist denkbar: der Versuch, die Repressionsschraube weiter anzuziehen und den unter Rot-Grün forcierten Zwang zur Arbeit (workfare) voranzutreiben. Das legt zumindest eine bereits im Mai veröffentlichte Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft nahe: “Umsetzung des Workfare-Ansatzes im BMWi-Modell für eine existenzsichernde Beschäftigung”. Dass Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) mit diesem Konzept kurz vor der Wahl nicht unbedingt hausieren geht, ist angesichts des Protests, den sein Entwurf für ein “Industriepolitisches Gesamtkonzept” hervorrief, mehr als verständlich. Auch wird es den potenziellen WählerInnen angesichts der Jahrhundertkrise nicht unbedingt plausibel erscheinen, dass sie selbst für ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich sind. Das ändert sich nach der Wahl zwar auch nicht unbedingt, aber dann muss die neue Regierung auch nicht mehr um die WählerInnen werben.

Ingo Stützle

Erschienen in:

ak – zeitung für linke debatte und praxis, Nr. 542 vom 18.9.2009